Die wilde Jagd: Winterliche Geisterzüge zwischen Sage und Naturphänomen
- Susanne Heinen

- vor 3 Tagen
- 7 Min. Lesezeit

Vor vielen hundert Jahren, wenn die Nächte dunkler wurden und der Wind durch kahle Äste heulte, erzählten sich die Menschen im Winter von einem geisterhaften Heer, das durch die Dunkelheit zog: Reiter, Hunde und Schattenwesen. „Wilde Jagd“ heißt dieser uralte Wintermythos, in dem die Furcht vor der unberechenbaren Natur und dem Geheimnis der dunklen Jahreszeit lag.
In den Wintermonaten, wenn es nur wenige Stunden am Tag hell war und die Kälte alles langsam erstarren ließ, entstanden die Geschichten dieses geisterhaften Reiterzugs, der durch die Nacht und Winterlandschaften zog. Anders als heute war der Winter damals besonders kalt und beschwerlich. Es gab kein warmes Auto, keine Zentralheizung und keine festliche Beleuchtung zu Hause. Draußen war es eisig, unwirtlich und auch unheimlich. Das Leben war geprägt von harter körperlicher Arbeit, vielleicht auch Hunger. Wärme und Behaglichkeit musste man sich mühsam erarbeiten – Holz „ersammeln“ war harte Arbeit. Die Furcht vor der Nacht und der Dunkelheit war groß.
Doch warum faszinieren uns solche Geschichten heute noch? Wie entstanden sie historisch und wie lebt die Wilde Jagd als Mythos für das Geheimnisvolle, Unberechenbare und Poetische in der Winterzeit weiter? All diesen Fragen möchte ich in diesem Artikel ein wenig auf den Grund gehen, vor allem, warum diese archaischen Geschichten und Brauchtümer im 21. Jahrhundert noch immer präsent sind.

Das ist das Türchen 17 von meinem Blog-Adventskalender 2025. Wir tauchen ein in die geheimnisvolle Welt der Wilden Jagd mit alten Mythen, rauen Winternächten und Geschichten, die noch heute faszinieren und inspirieren.
Das sind die Inhalte dieses Artikels:
Die Wilde Jagd zwischen Sage und Überlieferung
Die ersten schriftlichen Erwähnungen der Wilden Jagd stammen aus dem 12. bis 14. Jahrhundert. In Skandinavien tauchen frühe Hinweise auf den „Oskoreia“-Zug im 13. Jahrhundert auf, in Deutschland werden die Begriffe „Wilde Jagd“ oder „Odins Jagd“ im 14. und 15. Jahrhundert dokumentiert. Diese frühen Quellen belegen, dass der Mythos schon lange vor der modernen folkloristischen Überlieferung fest in der europäischen Kultur verwurzelt war.
Die Winter waren hart und lang und die Menschen suchten Erklärungen für das Unvorhersehbare in der Natur, in Geräuschen, Stürmen oder Tierbewegungen. Die Wilde Jagd entstand aus diesen Beobachtungen und der Fantasie der Menschen: ein Heer aus Reitern, Hunden und geisterhaften Schatten, das über Felder, Wälder und Flüsse zog.

Odin
Die Wilde Jagd gehört damit zu den ältesten Wintermythen Europas und die Legenden verankern sich in unterschiedlichen europäischen Kulturen: In Skandinavien nennt man den Zug Oskoreia, in England The Wild Hunt, in Frankreich Chasse sauvage.
In Deutschland wird die Wilde Jagd oft mit Odin, dem germanischen Gott der Weisheit und des Krieges, verbunden.
Das hängt vor allem mit seiner Rolle als Anführer übernatürlicher Heerscharen zusammen. In der germanischen Vorstellung konnte Odin auf seinem Schimmel durch die Lüfte reiten, begleitet von Geistern, Ahnen oder dämonischen Wesen. Diese nächtlichen Jagden galten als Ausdruck von Macht, Furcht und Unvorhersehbarkeit der Natur.
Mit jedem Erzählen verwandelten sich die Geschichten von Jahr zu Jahr ein wenig, der alte Kern vermischte sich mit neuen Details, bis die Wilde Jagd zu dem geheimnisvollen Zug wurde, den wir heute kennen. Wer ihm in einer Winternacht begegnete, dem drohte der Legende nach entweder Unheil oder ihn erwartete ein unerwarteter Segen. Die Deutung war eine sehr subjektive Angelegenheit :-).
Die Wilde Jagd in den Raunächten
Der Legende nach erscheint die Wilde Jagd nicht das ganze Jahr über, sondern besonders in den Wintermonaten, wenn die Nächte am längsten und Dunkelheit und Kälte am stärksten spürbar sind. Besonders aktiv soll der Geisterzug in den Raunächten zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag sein. In dieser Zeit erschien den Menschen die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und der Anderswelt besonders durchlässig. Alles Ungewöhnliche, wie das Heulen des Windes, knarrende Äste oder plötzliche Geräusche in der Dämmerung, konnte dann Teil des geisterhaften Heeres werden.

Gerade in der Zeit zwischen den Jahren waren Mythen und Legenden für die Menschen besonders greifbar. Die Raunächte boten den Menschen einen Rahmen, um mit diesen Ängsten umzugehen. Rituale und Bräuche halfen, die Unberechenbarkeit der Natur zu erklären und den Lauf des Jahres zu strukturieren. So wurden die Geschichten von der Wilden Jagd nicht nur erzählt, sondern auch in Handlungen und Ritualen lebendig, die die Menschen durch die dunkelste Zeit des Jahres begleiteten.
In den Alpen und in Bayern treiben noch heute Perchtenläufe und Maskentänze die wilden Geister durch die Dörfer. In der Eifel wurde weiße Wäsche drinnen aufgehängt, damit sie nicht vom Geisterheer mitgenommen wird. In Skandinavien zieht der Oskoreia-Zug mit Odin über verschneite Wälder und spiegelt die lange Tradition der wilden Reiter.
Räuchern, Lärm oder achtsames Beobachten des Wetters waren Bräuche, um sich vor den Umtrieben der Geister zu schützen. Naturbeobachtung, Glaube und Mythos waren damals eng verbunden.
Historischer Glaube und heutige Wahrnehmung
Die Geschichten der Wilden Jagd waren früher mehr als bloße Erzählungen. Bis ins 17. und 18. Jahrhundert glaubten die Menschen tatsächlich an die Geisterzüge. Der Winter war hart, die Natur unberechenbar, und unerklärliche Geräusche wie das Knacken gefrorener Äste oder das plötzliche Auffliegen von Vögeln in der Dämmerung wurden als Manifestation des Geisterheeres gedeutet.
Viele Elemente der Legenden lassen sich durch natürliche Phänomene erklären. Wind, Sturm und das Heulen durch kahle Äste erzeugten Geräusche, die wie Hufschläge oder Rufe von Geisterwesen wirkten. Nebel, feuchter Dunst oder Schatten in der Dämmerung verwandelten bekannte Landschaften in geheimnisvolle Szenen, in denen die Fantasie lebendige Gestalten sah. Auch Tierbewegungen, etwa Schwärme von Vögeln, durch die Felder huschendes Wild oder heulende Hunde, wurden als Teil des Geisterzuges interpretiert. So verschmolzen Naturbeobachtung und Fantasie zu Geschichten, die den Menschen halfen, das Unvorhersehbare der Winterzeit zu deuten und Orientierung zu gewinnen.
Mit der Epoche der Aufklärung (ca. 1720–1800) und den zunehmenden naturwissenschaftlichen Erklärungen für Wetter, Tierverhalten und Geräusche verlor der Glaube an diese Erscheinungen nach und nach seine Gültigkeit. Die Erzählungen über den Geisterzug wurden dann rein literarisch, künstlerisch oder folkloristisch weitergetragen. Heute leben sie als historische Anekdoten und kulturelle Bilder weiter. Rein symbolisch wahrgenommen, dienen sie als Inspiration, Reflexionsrahmen und Ausdruck der geheimnisvollen und unberechenbaren Seite des Winters.
Symbolik der Wilden Jagd im Winter
Der Mythos um die Wilde Jagd spiegelt die Ängste und Hoffnungen der Menschen in der dunkelsten Jahreszeit wider. Sie ist ein Symbol für Vergänglichkeit, Neubeginn und die Herausforderungen des Lebens, die besonders im Winter spürbar wurden.
Winter und Dunkelheit: Die Nächte sind am längsten, die Natur wirkt unberechenbar. Die Geschichten der Wilden Jagd machten diese Unberechenbarkeit erfahrbar und gaben den Menschen ein Sinnbild für die Zyklen von Leben und Tod.
Geister und Ahnen: Begleiter des Geisterzuges sind oft Seelen Verstorbener. Die Erzählungen spiegeln das Verhältnis der Menschen zu Tod, Erinnerung und Ahnenkult wider und boten einen Rahmen, um über Vergänglichkeit nachzudenken.
Naturphänomene: Windheulen, Schneestürme, Tierbewegungen, Nebel und Schatten in der Dämmerung wurden als Teil des Geisterzuges gedeutet. Selbst das Knacken gefrorener Äste oder das Platzen von Eiszapfen konnte in der Vorstellung der Menschen zu Hufschlägen werden.
Raunächte: Diese Zeit zwischen den Jahren galt als besonders durchlässig für das Übersinnliche. Rituale und Bräuche halfen den Menschen, die Unberechenbarkeit von Natur und Leben zu ordnen und ihre Beziehung zu den Geschichten und Symbolen der Wilden Jagd bewusst zu gestalten.
Kunst und Literatur zur Wilden Jagd
Für Künstler und Schriftsteller war die Wilde Jagd seit Jahrhunderten eine Quelle der Inspiration. In der bildenden Kunst taucht der Geisterzug immer wieder auf. Peter Nicolai Arbo (1831–1892) zeigt ihn z. B. eindrucksvoll in seinem Gemälde Åsgårdsreien (1872), in dem Reiter, Hunde und geisterhafte Gestalten durch eine düstere, verschneite Landschaft ziehen. Die Darstellung betont nicht nur die bedrohliche Seite des Mythos, sondern auch seine geheimnisvolle Schönheit und die Faszination, die von ihm ausgeht.

Bildquelle Wilde Jagd von Arbo: wikipedia
Lizenz: Gemeinfrei

Auch in der Literatur und Musik finden sich zahlreiche Belege: In Carl Maria von Webers Oper Der Freischütz (1821) klingt z. B. das Motiv der Wilden Jagd in der Wolfsschlucht-Szene an, wo Kaspar und Max bei Mitternacht Freikugeln gießen. Geisterstimmen, tobender Sturm, wilde Tiere und ein „wildes Heer“ beschwören übersinnliche Kräfte, die an den mythischen Geisterzug erinnern.
Kunst und Literatur bewahren den Mythos, machen ihn erlebbar und halten ihn lebendig. Diese alten Geschichten werden von Generation zu Generation weitergegeben und finden immer wieder neue Interpretationen, auch aktuell in vielen neuen Buchveröffentlichungen.
Bildquelle Freischütz: wikipedia
Lizenz: Gemeinfrei
Bedeutung der Wilden Jagd heute
Noch heute fasziniert die Wilde Jagd mit ihren Geschichten und vor allem die damit verbundenen Raunächte. Diese alten Mythen sind ein Symbol für das Geheimnisvolle, Unberechenbare und Poetische im Winter. Oft braucht es auch in unserer modernen Zeit einen Rahmen, um eigene Ängste zu betrachten, Vergänglichkeit zu bedenken und die Natur in ihrer Unberechenbarkeit wahrzunehmen.
Viele Menschen greifen bewusst auf alte Geschichten, Bräuche und Mythen zurück, um in unserer grell erleuchteten, technisierten Welt diese Momente der Besinnung und der Verbundenheit zu erleben. Wenn man in den Tagen vor Weihnachten Buchhandlungen aufsucht, wird man von dem Angebot an Literatur zu den Raunächten förmlich erschlagen. Vom Räucherwerk über Bücher bis zum Kartenset gibt es alles, was man braucht, um in diese alten Mythen einzutauchen.
So wird die Wilde Jagd zu einem Spiegel der menschlichen Sehnsucht nach dem Unsichtbaren, nach einer Rückverbindung zu altem Brauchtum. Die Dunkelheit, Kälte und Stille im Winter sind nicht mehr eine Bedrohung, sondern bieten einen Raum für Reflexion und innere Sammlung.
Die Beschäftigung mit diesen sehr alten Erzählungen lässt einen förmlich spüren, wie nah der Mensch all diesen Brauchtümern noch ist, fest verwurzelt in seiner Vergangenheit. Der Philosoph Heymann Steinthal hat das gut in Worte gefasst:
„Auch in der geistigen Welt geht kein Atom verloren; was je war, verharrt unvertilgbar.
In unsern Geistern leben die Geister aller Verstorbenen aller Zeiten.“
Heymann Steinthal (1823–1899)

Welche Spuren der Wilden Jagd entdeckst du in den stillen Winternächten? Ich freue mich sehr auf deinen Gedanken und Austausch in den Kommentaren.
Literatur und Inspiration
Wenn du dich für die Wilde Jagd, Odin/Wodan und die alten Mythen begeisterst, findest du hier eine Auswahl an Büchern, die tief in die germanische Mythologie eintauchen und zeigen, wie diese Geschichten noch heute faszinieren und inspirieren.
Wolfgang Golther – Handbuch der germanischen Mythologie*
2017, Verlag: Nikol Verlag
Umfassender Überblick über germanische Götter, Sagenmotive und religiöse Vorstellungen, die für das Verständnis der Wilden Jagd relevant sind.
Manfred Ehmer – Odins wilde Jagd: Bemerkungen zur germanischen Mythologie*
2024, Verlag: Edition Theophanie/Tredition
Behandelt Odin/Wodan, Jagdvorstellungen und die Symbolik der Wilden Jagd in der nordischen Tradition.
Claude Lecouteux – Encyclopedia of Norse and Germanic Folklore, Mythology, and Magic*
2016, Verlag: Inner Traditions
Nachschlagewerk zu nordischer und germanischer Folklore, Mythologie und Magie, inklusive der Wilden Jagd.
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Hallo liebe Susanne,
die Wilde Jagd kommt bei mir nur Silvester vorbei, da darf keine Wäsche hängen, sonst stirbt jemand im Neuen Jahr. Das ist natürlich völliger Blödsinn. In Erinnerung an die Silvester in meiner Kindheit, in der das Menschen Ernst genommen haben, nehme ich meine Wäsche ab. Und denke liebevoll zurück.
Steffi