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Was ist Cut-up oder die kreative Arbeit mit Wortschnipseln?



Wenn du an ausgeschnittene Zeitungsbuchstaben oder Wörtern denkst, sind bestimmt sofort Bilder in deinem Kopf. Vielleicht von alten Fernsehkrimis in denen Erpresserbriefe meist aus diesen krumm aufgeklebten Zeitungsbuchstaben zusammengesetzt wurden :-). Dass diese Methode als Cut-up im kreativen Bereich bekannt ist, wissen wohl die wenigsten. Oftmals fließen Buchstaben, Wörter und Satzstücke auch in Collagen und Mixed-Media-Werke ein. Dort fungieren die Wörter und Buchstaben jedoch nur als Beiwerk, während sie in der Cut-up-Technik alleine als künstlerische Form für sich stehen. In diesem Blogartikel geht es um die Entstehung dieser Technik und wie du sie selbst als Methode kreativ einsetzen kannst.



Cut-up als Technik: Kurze Exkursion in die Geschichte


Die Cut-up-Technik (französisch: découpé) ist eine literarische Technik, bei der aus dem Zufall heraus ein Text erschaffen werden soll. Ein bereits vorhandener Text wird zerschnitten und die Textfragmente anschließend neu angeordnet. Ziel ist es, einen völlig neuen Text zu kreieren, im ersten Moment auch unabhängig davon, ob dieser sinnvoll oder sinnlos ist.


Ihren Ursprung scheint die Cut-up-Technik in den Anfängen des Dadaismus zu haben. Einer der Mitbegründer Tristan Tzara hat die Methode um die 1920er Jahre praktiziert, indem er wahllos Wörter aus Zeitungen ausschnitt und diese in einen Hut (es kann auch nur ein imaginärer Hut gewesen sein :-)) warf.


Es wurden nun nacheinander Worte aus dem Hut gezogen und in der gezogenen Reihenfolge aufgeklebt. Der entstandene Text sollte keinen Sinn ergeben, sondern frei für sich stehen in seinem "Sinn oder Unsinn".

Auch in der Malerei wurde im Sinne des Zerschnitts mit Bildcollagen und Montagen experimentiert, deren Deutung oftmals abenteuerlich war und viel Spielraum zur Interpretation ließ.


Der Begriff "Kunst" als "freie Kunst" verstanden, bekam im Dadaismus fast schon einen revolutionären Charakter.


Mit dem Ende des Dadaismus in der Mitte der 1920er Jahre und dem Übergang in den Surrealismus geriet Idee des Cut-up jedoch in Vergessenheit.

Erst in den späten 1950er Jahren erlebte das Cut-up durch die zufällige Entdeckung des Künstlers Brion Gysin beim Papierschneiden, eine völlig neue Art der Nutzung. Er teilte seine Idee mit dem befreundeten Schriftsteller William S. Burroughs. Dieser begann ab diesem Moment, das Zerschneiden oder Falten seiner Manuskriptseiten zur Erstellung seiner Romane zu nutzen. Auf diese Weise hat er aus über 1000 losen Manuskriptseiten 4 Bücher zusammengestellt, die veröffentlicht und auch gelesen wurden :-). Unglaublich, oder?


So begann ab 1960, maßgeblich durch Burroughs, der Einzug des Cut-Ups in die Medienkunst. In Film, Kunst und Musik wurde mit dieser Technik experimentiert, um aus bestehendem, alten Material völlig neue Werke zu erschaffen. Ein bekannter Künstler, der diese Technik ausgiebig zur Erstellung seiner Songtexte nutzte, war zum Beispiel David Bowie.


Heute steht meist nicht mehr das "physische Zerschneiden" von Material im Vordergrund, um aus dem Zerschnitt etwas Neues zusammenzustellen, sondern eher die Kombination aus verschiedenen Quellen, mehr als eine Art Remix oder Montage.


"Die Welt im Wandel" von Pinky T. Wise

Eine ganz neue Form findet die Cut-up-Technik in unserem Jahrzehnt, den 2020er Jahren.

Mit dem Einzug der KI (Künstliche Intelligenz) in vielen Bereichen der Texterstellung, des Designs und der Kunst, erleben wir, was eine "intelligente Maschine" aus eingegebenen Suchbegriffen erschaffen kann. Im KI-Prozess ist es lediglich ein technisches und emotionsloses Zusammenfügen von Worten oder Bildern, der jedoch durch ständiges Modifizieren und Lernen immer "bessere" Ergebnisse erzielt.



Diese Ergebnisse werden sich wohl bald schwerlich oder gar nicht mehr vom Werk eines realen Menschen unterscheiden lassen. Ein Gedanke, der mich nachdenklich macht. Ich hoffe, dass die Individualität des menschlichen Ausdrucks nicht einer zunehmenden Technisierung zum Opfer fällt. So gerne ich im Design mit neuen und zukunftsweisenden Graphikprogrammen arbeite, möchte ich die Schöpferin meiner Werke bleiben.


Die Geschichte der Cut-Up-Technik erweist sich hier in meiner Recherche als "Krake mit viel zu vielen Armen". Ich bin auf interessante Geschichten und Verknüpfungen gestoßen, von denen ich bislang noch nie etwas gehört hatte. Wenn du weitere Informationen zu der geschichtlichen Entwicklung dieser Technik lesen möchtest, findest du diese in meinem weiterführenden Blogartikel, den ich hier verlinke, sobald ich die vielen Enden verknüpft habe :-). Stay tuned ...


„Man kann Spontanität nicht wollen. Aber man kann den unvorhersehbaren spontanen Faktor mit einer Schere einführen.“

William S. Burroughs



Cut-up als Kreativ-Tool: Künstlerisches Arbeiten mit Wortschnipseln

Vielleicht kennst du ja jemanden, der Collagen erstellt oder ein Art Journal befüllt? Vermutlich ist dir dann bei einem Besuch schon aufgefallen, dass dieser Jemand viel mehr Zeitungen, Zeitschriften oder Bücher hortet, als du es dir erklären kannst und fragst dich, warum das alles nicht in den Papiermüll wandert?


Hier kommt die Erklärung: Mixed-Media-Künstler sind Jäger und Sammler :-) und halten das ganze Jahr über nach schönen Worten und Sätzen Ausschau. Man kann in jeder Form von Printmedium etwas entdecken, das später den Weg in eine Collage, ein Bild oder in ein Art Journal finden kann. Vom Werbeblatt, über Zeitschriften, aufwendige Fachjournale bis hin zu ausgedienten Büchern, Bildbänden, überall stecken Worte, Sätze, die vielleicht nur darauf warten, einen neuen Zweck zu erfüllen.


"Es gibt jetzt weniger Skrupel", Mixed-Media, Susanne Heinen

Der Einsatz dieser kleinen Wortschnipsel oder ganzer Textpassagen als Kreativ-Tool dient dabei zur Unterstützung der Bildaussage. Sie schaffen einen Verbindung durch Sprache und vermitteln zwischen dem künstlerischen Ausdruck, der Farbe und dem Bildinhalt. Cut-up als Kreativtool lebt aber nicht vom Zufall, sondern vom bewussten Einsatz und der Kombination aus Bild und Sprache.


Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit.

Friedrich von Schiller



Cut-up als Methode: Arbeiten mit Wortschnipseln im artCounseling


Ganz anders ist der Einsatz von Wortschnipseln als Methode im artCounseling. Hier dienen die Wortschnipsel als Unterstützer, um mit sich selbst wieder besser in Kontakt treten zu können.

Nicht jedem liegt es oder gelingt es, täglich oder wöchentlich ein Tagebuch zu führen, um schriftlich Gedanken und Gefühle aufzuarbeiten, zu sortieren oder zu bewerten. Auch in Umbruchzeiten im Leben kann die Übermacht der Gefühle, die auf einen einströmen, schwer in Worte zu fassen sein. Hier kann die Cut-up-Methode eine Brücke bauen, um wieder einen Anknüpfungspunkt und seine Sprache zu finden.


Eine meiner Schachtel mit Wortschnipseln :-)

Eine kleine Schachtel mit einer vielfältigen Auswahl an Worten kann einen leichten Einstieg in ein Gespräch oder eine gestalterische Arbeit geben. Wenn die Aufgabe lediglich heißt, sich Worte auszuwählen, die einen spontan ansprechen, um diese anschließend anzuordnen und aufzukleben, ist dem Einstieg in die Selbstreflexion oftmals die drückende Schwere genommen.


Beispiele einiger meiner Kurzgedichte, die aus Wortschnipseln entstanden sind.

Wichtig ist hier eindeutig der haptische Aspekt, das "in die Hand nehmen". Alleine der Vorgang des Aussuchens der Worte mit den Händen, das vorsichtige Herausnehmen der kleinen Wortstreifen, das Wenden und Drehen, das Arrangieren ist ein Prozess, der unverhoffte Zeilen hervorbringt.

Über so einen kleinen Text, vielleicht sogar ein Gedicht ins Gespräch zu kommen, ist ein völlig anderer Ausgangspunkt, als das statische und fordernde Gesprächsszenario von Frage und Antwort.


Selbstwirksam sein, etwas TUN, etwas aussuchen, es platzieren, neu überlegen, um es dann schließlich aufzukleben, ist eine sehr ruhige, langsame und fast schon meditative Tätigkeit. Die Worte finden wie von selbst zu Zeilen zusammen und es steckt viel Gefühl in ihnen.




Zum Schluss hat man ein mit Worten gestaltetes Blatt vor sich liegen. Vielleicht ist es nur eine

willkürliche Zusammenstellung aus Worten, die "im Angebot der Schachtel" waren, aber dennoch möchten sie dir eine Botschaft überbringen. Dieses Blatt kann ein Schlüssel zur Öffnung sein. Ein Schlüssel zur Öffnung zu sich selbst, auch hin zum Anderen und zum selbstwirksamen Handeln, ein Problem, ein Lebensthema anschließend in gesprochene Worte zu fassen.


Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen.

Johann Wolfgang von Goethe



Eine Challenge: Cut-up im Rahmen der Farbkreise Blau


Zum Abschluss dieses Blogartikels möchte ich dich zu einer Cut-up Challenge einladen, die ich im Rahmen der Farbkreisreise Blau gerade vorbereite.


Alle Informationen dazu findest du dann in meinem Newsletter oder direkt bei Instagram in meinem Account.


 

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