Décalcomanie oder eingedeutscht "Abklatschtechnik" sind vielleicht Begriffe, die du noch nie gehört hast. Vielleicht denkst du an Sport, ein Kinderspiel oder eventuell eine Erkrankung, doch bei der Décalcomanie handelt es sich um eine alte Technik, eine kreative Methode aus dem bildnerischen Bereich.
Diese Abklatschtechnik und verschiedene Spielarten davon werden in unterschiedlichsten kreativen und auch therapeutischen Bereichen verwendet. Vielleicht kennst du auch schon eine Variante davon aus deiner eigenen Kindheit oder aus Arbeiten deiner Kinder im Kindergarten oder der Grundschule? Zum Beispiel den abgeklatschten, gespiegelten Schmetterling, der durch Papierfaltung entsteht?
Ich möchte dich in diesem Artikel vor allem zu den Möglichkeiten hinführen, die dich leicht in kreatives und künstlerisches Arbeiten bringen. Denn die Abklatschtechnik, das Abklatschen, das klingt zuerst einmal grob und nach wenig Gefühl. Es ist aber genau das Gegenteil der Fall, es ist nämlich eine Technik, durch die sehr filigrane und phantasievolle Zufallsbilder ihren besonderen Zauber hat. Lass dich überraschen...
Die Décalcomanie: Der Ursprung der Abklatschtechnik
Die Décalcomanie ist eine monotypische Drucktechnik aus dem 18. Jahrhundert. Um 1750 wurde diese Technik erstmals erwähnt und zwar in Zusammenhang mit der Porzellan- und Keramikherstellung und dem Aufbringen von Motiven auf das Geschirr.
Die Erfindung bzw. Verfeinerung dieser Technik wird Simon François Ravenet zugeschrieben, einem Graveur aus Frankreich. Er nannte das Verfahren „decalquer“ (Kopieren durch Nachzeichnen), mit dem Gravuren und Drucke z.B. auf Keramik übertragen werden können.
Diese Ursprünge der Décalcomanie sind auch die Anfänge der Abziehbilder, wie wir sie heute noch kennen. Zu der damaligen Zeit stand allein der industrielle Einsatzzweck im Vordergrund.
Alle Arten von Abziehbildern und Aufklebern gehen auf diese Zeit zurück. Wenn man etwas mehr in die Tiefe forscht, entdeckt man vielfältige Verflechtungen zum Sieb- und Transferdruck und die unerschöpflichen Einsatzmöglichkeiten in Design und Produktion. Falls du dich da näher einlesen möchtest, findest du viel Informationen in der Zusammenfassung zum Thema "Abziehbild" bei wikipedia.
Die Entdeckung dieser Methode in der Kunstwelt erfolgte aber erst gut 150 Jahre später.
Der Surrealismus entdeckt die Décalcomanie
Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde die Décalcomanie auch in der Kunst entdeckt, um Strukturen und Maserungen zu erschaffen, die gewollt und mit Absicht schwer herstellbar waren. Im Surrealismus wurde diese Technik aus dem 18. Jahrhundert von Óscar Domínguez wieder aufgegriffen. Er nutzte die Décalcomanie 1934 zur Herstellung eines Buchumschlags für eine Monografie über Willi Baumeister.
Ein Bild dieses Buchumschlags kann ich wegen der Bildrechte nur als Link nennen, es zeigt jedoch eindrücklich die Herangehensweise von Óscar Domínguez. Denn die Anfänge der Décalcomanie liefen sehr reduziert ab und meist wurde nur schwarze, flüssige Gouachefarbe verwendet. Wichtig war dabei, das freie unkontrollierte Fließen und Laufen lassen der Farbe auf einer Fläche und das anschließende Anpressen einer zweiten Fläche, gefolgt von dem Abziehen. So entstanden diese zufälligen Strukturen und wolkige, amorphe Flächen.
Diese Technik wurde bald von vielen Surrealisten übernommen und angewandt. Ein bekannter Vertreter war Max Ernst, der die Décalcomanie nach seinen Wünschen weiter verfeinerte. Er arbeitete mit verschiedenen Farben und nutzte die Technik auch partiell, um Strukturen in Bilder einzubringen, übermalte jedoch teilweise den Rest. Es gibt einige berühmte Werke von Max Ernst, in der er diese Technik nutzt. Am besten erkennbar ist sie im Bild "Europa nach dem Regen II", vor allem in der Gestaltung der Steinformationen.
Oft wird direkt auf der Leinwand gearbeitet, indem dünnflüssige Farbe mit einem Papier oder einer Glasplatte verschoben wird. Dies erzeugt Strukturen, die an Korallen, Moos oder zerklüftete Steine erinnern.
Die Besonderheit liegt in den gebrochenen Strukturen, den feinen Maserungen, Erhebungen, Farbnasen. Durch ihre zufällige Entstehung wirken sie oft verschwommen, traumhaft und unwirklich.
In der Kunst wurde diese Technik bewusst genutzt, um genau diese amorphen Strukturen zu erreichen. Es ging es nicht um Zufälligkeit, sondern um das gezielte Einsetzen dieser Methode als bildnerisches Mittel. Das unterscheidet den künstlerischen Einsatz vom kreativen, den ich dir nachfolgend näherbringen möchte.
Die Décalcomanie als Kreativtechnik
Gerade wenn du im Alltagsleben wenig mit Kreativität oder künstlerischer Betätigung zu tun hast, ist es wichtig, Methoden zu haben, um das "Eis zu brechen".
Nichts ist schlimmer, als die Angst vor einem leeren weißen Blatt.
Am besten eigenen sich dabei Methoden, die ganz spielerisch zu Ergebnissen führen und vor allem Spaß machen.
In einem weiteren Blogartikel habe ich bereits über die Methode des Messpaintings berichtet, wo es um eine schnelle Abfolge von einfachen Farbexpressionen ohne Motiv oder Vorgabe geht. Die Abklatschtechnik ist eine ähnlich freie Technik, jedoch geht es hier nicht um Schnelligkeit, sondern um die Zufälligkeit der entstandenen Bilder. Anders als bei der Methode des Messpaintings, bei der die entstandenen Werke ursprünglich weggeworfen werden, dienen diese abgeklatschten Bilder jedoch noch als Hintergrund, Untergrund oder Inspiration zur Weiterarbeit.
Dabei gibt es verschiedene Herangehensweisen, zum Beispiel:
Das abgeklatschte Bild wird komplett als eigenständige Bildkomposition gesehen, an der weitergearbeitet wird.
Teile der abgeklatschten Strukturen werden sichtbar erhalten, während der Rest übermalt wird.
Teilweise kann auch direkt während des Entstehungsprozesse eines Bildes direkt auf die Leinwand/den Malgrund abgeklatscht werden, was natürlich eine gewisse Risikobereitschaft voraussetzt :-).
Der Reiz der Décalcomanie liegt im Zufall, denn man kann nicht wirklich steuern, was letztlich auf dem Blatt zu sehen ist. Man arbeitet ein bisschen nach dem Trial & Error-Prinzip. Diese Zufälligkeit schafft einen großen Freiraum zur kreativen Entfaltung. Der innere Kritiker kann gar nicht so laut sprechen, denn schließlich ist es ein nicht wirklich steuerbarer Prozess. Es überwiegt die Freude und die Überraschung.
Vorbereitung und Ablauf des Abklatsch- und Malprozesses
Nach der ganzen Theorie möchte ich dich noch zu einer ersten Übung einladen. Dafür genügt ein kleiner Platz an einem Tisch, denn du startest kleinformatig in Postkartengröße oder maximal DIN A4. Den Platz deckst du am besten gut ab, denn die Farbe wird verdünnt und manchmal quetscht es Farbe beim Andrücken des Papiers seitlich heraus. Auch du selbst solltest Kleidung tragen, die schmutzig werden darf oder dich mit einer Schürze, einem alten Hemd oder Malerkittel schützen.
Folgende Materialien werden benötigt:
flüssige Farben (Acryl, Gouache, Tempera, alles ist nutzbar)
ein Wassergefäß
mehrere Pinsel
eine Spachtel
einen Spülschwamm, der in kleine Teile zerschnitten werden kann
eventuell eine Sprühflasche mit Wasser, um die Oberfläche feucht zu halten
festes Papier mit ca. 250 g, zum Beispiel ein Fotokarton
eine Folie (Dokumentenhülle, etc.) oder eine alte Glasplatte/Plastikplatte
Die Vorgehensweise ist wirklich ganz einfach:
Auftragen der Flüssigfarbe auf eine Folie oder glatte Platte
Auflegen des Papierbogens und mit Druck glattstreifen
Abziehen des Papierbogens, der nun die Farbstrukturen zeigt
Auf den folgenden Bildern habe ich dir eine kleine Übersicht erstellt, wie du mit einfachen Mitteln zuhause beginnen kannst, ohne viel Material einzukaufen. Es sind günstige Tubenfarben aus dem Bastelbedarf, eine Dokumentenhülle und normaler Fotokarton verwendet worden.
Wunderschöne Variationen kannst du erschaffen, indem du
verschiedene Papiere benutzt
unterschiedliche Farbarten auswählst
unterschiedlich Druck ausübst
eventuell die Farbe mit Schwamm, Spachtel aufträgst und Strukturen erschaffst
das Papier zerknüllst, zerreißt, faltest usw. ...
das Blatt mehrmals abklatschst
Nachdem du auf diese Weise einige Untergründe erstellt hast und alles gut getrocknet ist, geht es an die eigentliche Weiterarbeit.
Inspiration und Assoziation: Décalcomanie als Kreativpool
Das Besondere an dieser Technik ist, dass der Gestaltungsprozess hier erst am Anfang ist. Die erstellten Bilder dienen quasi als Zeichengrund. Du wählst dir aus alle deinen Bildern jetzt das aus, was dich am meisten anspricht. Lass dir Zeit und setze dich still vor das Blatt. Es geht jetzt darum, Formen zu finden, zu assoziieren, was dieser Fleck oder jene Struktur wohl darstellen könnte.
Die Wahrnehmung von Formen und Gebilden erfolgt selektiv. Das Auge und Gehirn bleiben an besonderen Stellen hängen. Es wird sofort assoziiert, was das denn sein könnte und versucht den zufälligen Strukturen einen Namen, eine Bedeutung zu geben. Jetzt kannst du Formen malerisch oder zeichnerisch hervorheben, den Klecksen und Strukturen ein Gesicht oder eine definierte Form geben.
Der Fantasie ist keine Grenzen gesetzt, du kannst dich einfach treiben lassen und sehen, was entsteht.
Hier in dieser kleinen Serie siehst du die Entstehung von "Frau Vogel" :-) ...
Besonders macht diese Technik, dass sie durch eine relativ einfache Vorgehensweise auch Laien anspricht und in das kreative Tun "mitnimmt". Es ist eine Technik, die man auch für den "Privatgebrauch" nutzen kann, wenn man sonst wenig kreativ ist. Die Ausbeute aus so einer Abklatsch-Serie bringt zum Beispiel viele wunderschöne Grußkarten hervor.
Wenn man in dieser Technik weiterarbeiten möchte, dann braucht es jedoch viel mehr an künstlerischem Material. Die Décalcomanie kann alleine für sich stehen, man kann sie jedoch auch mit vielen weiteren Techniken verbinden. Ich nutze die entstanden Bilder oft als Untergrund für Collagen oder schneide Teile der Strukturen aus und verwende sie weiter. Die Möglichkeiten sind unendlich und wie auch beim Messpainting gilt: Jeder Schnipsel kann verwendet werden :-).
"Spielen ist Experimentieren mit dem Zufall."
Novalis (1772 - 1801)
Liebe Susanne, ich liebe Kunst, Malerei und Kunsthistorie, was ich mal ein Jahr lang in Trondheim studiert habe. Dein Artikel hat mich sofort eintauchen lassen in die wunderbare Welt der Kunst in all Ihren farbenfrohen Facetten. Ich weiss, wie schnell das Wissen rund um das Thema Kunst schwer und theoretisch werden kann. In deinem Artikel hast du mir die Technik mit sehr viel Leichtigkeit erklärt und durch die praktische Übung eine sehr gelungene Mischung aus Theorie und Praxis gefunden. Ich fühle mich inspiriert und werde jetzt mal noch ein bisschen in deinen weiteren Blogartikeln lesen und anschliessend Leinwand und Pinsel auspacken, um mir meine eigenen Geschichten zu erzählen. Lg Kathrin